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Vermeiden, Verlagern, Verbessern – die drei Schritte der Verkehrswende und welche Rolle Leichtfahrzeuge spielen

Die Verkehrswende, besser Mobilitätswende, wird von Medien, Politik und Expert:innen bereits heiß diskutiert. In zahlreichen Modellprojekten, Reallaboren, Forschungsinitiativen und vielen weiteren Formaten werden Maßnahmen zur Reduzierung der verkehrsbedingten Treibhausgase erprobt.

Die Mobilitätswende ist mittlerweile auch in den Medien angekommen und je nach Verlag werden die einzelnen Maßnahmen gelobt oder kritisiert. In der schieren Vielfalt an Maßnahmen und Projekten zum klimagerechten Verkehr kann so mitunter der Gedanke entstehen, dass es an strukturierten und durchdachten Ansätzen für die Mobilitätswende mangelt. Doch ein Modell bildet bereits seit vielen Jahren den Rahmen zur Einordnung und Priorisierung der verschiedenen Maßnahmen mithilfe von drei Handlungsfeldern. 1,2,3 … So einfach kann Verkehrswende sein – oder doch nicht?

Das Avoid-Shift-Improve-Modell

Schon in den 1990er Jahren wurde mit dem Avoid – Shift – Improve – Modell (auch kurz ASI-Modell genannt) ein Referenzmodell für die Strukturierung von Maßnahmen zur Verringerung der Umweltauswirkungen des Verkehrs und damit zur Verbesserung der Lebensqualität in städtischen Lebensräumen entwickelt. Heutzutage wird der Ansatz vor allem von TUMI, der Transformative Urban Mobility Initiative der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) angewendet und weiterentwickelt. Am treffendsten lassen sich die drei ASI-Phasen mit Vermeiden, Verlagern, Verbessern übersetzen.

Die Hauptelemente des Modells sind die drei Handlungsfelder Avoid, Shift und Improve, denen im Weiteren verschiedene politische, technologische und andere Maßnahmen zugeordnet werden können.

Das Modell eignet sich somit hervorragend, um bereits vorhandene Maßnahmen oder Vorhaben zu clustern und zu ordnen. Das Ergebnis kann ein Überblick darüber sein, inwiefern zum Beispiel in einer Stadt alle Handlungsfelder in ähnlichem Ausmaß bedient werden oder sich Maßnahmen nur auf einen der drei Pfeiler konzentrieren. Entsprechend können dann notwendige weitere Schritte durch die verantwortlichen Stakeholder (z.B. die zuständige Stadt- und Verkehrsplanung, Transportunternehmen oder Verkehrsverbände) beschlossen werden.

Gleichzeitig bilden die drei Pfeiler eine Hierarchie, entsprechend derer vorgegangen werden sollte:

  • Verkehrsvermeidende Maßnahmen zuerst,
  • anschließend Maßnahmen zur Verlagerung des Modal Splits hin zu emissionsarmen oder aktiven Modi wie Laufen, Radfahren, öffentliche Verkehrsmittel,
  • und abschließend Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz der Transportmittel sowie der Betriebseffizienz und Attraktivität der öffentlichen Verkehrsmittel

Schauen wir uns die drei Handlungsfelder samt entsprechender Maßnahmen noch einmal näher an.

Schritt 1: Vermeiden von Verkehr (Avoid)

Das Feld Vermeiden zielt auf die Reduzierung der Anzahl und Länge der zurückgelegten Wege durch eine Verringerung der Verkehrsnachfrage ab. Dies bedeutet indirekt eine verbesserte Erreichbarkeit und eine effizientere Mobilität. Hierzu zählen vor allem stadtplanerische Strategien, wie etwa eine verdichtete Entwicklung neuer Quartiere, aber auch betriebliche oder gesetzliche Home-Office-Regelungen. Beispiele für vermeidende Maßnahmen sind:

  • Vermischung von Wohn-, Arbeits- und Freizeitquartieren zur Vermeidung langer Wegstrecken
  • gesetzlich geregelter Rechtsanspruch auf Home-Office
  • Ausweitung von (emissionsfreien) Lieferdiensten (z.B. per Lastenrad) 
  • Steigerung der Anzahl von Lagerstationen für Kurier-/Express-/Paket-Sendungen(z.B. Packstation, Paketshops) 
  • Mitnahme von KEP-Sendungen in Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs ähnlich der „Belly-Fracht“ in der Luftfahrt

Vermeidende Maßnahmen sind oft kostenintensiv und umstritten, wie die aktuellen Diskussionen rund um das Homeoffice-Gesetz in Deutschland oder die Idee der 15-Minuten-Stadt Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo zeigen. Leider werden die vermeidenden Maßnahmen von der Politik auch eher vermieden, da sie oft teuer und relativ aufwändig sind und erste positive Effekte verzögert einsetzen.

Schritt 2: Verlagern von Verkehr (Shift)

Verlagernde Maßnahmen haben das Ziel, den Modal Split zu energieeffizienten und emissionsarmen oder aktiven Verkehrsmodi zu verschieben. Dies sind vor allem der Fuß- und Radverkehr, öffentlicher Nahverkehr, aber auch neue Mobilitätsoptionen wie Ridesharing und Mikromobilität.

Hier spielt vor allem die Verkehrsplanung eine große Rolle. Das Setzen von Anreizen zur Nutzung dieser Mobilitätsoptionen und das gleichzeitige Setzen von Hürden für den motorisierten Individualverkehr kann einen Modal Shift weg vom eigenen PKW bewirken. Diese Maßnahmen können planerisch, ökonomisch, regulatorisch oder informierend sein – dementsprechend groß ist die Vielfalt.

  • City-Maut: Erhebung von Gebühren für die Nutzung bestimmter Zonen mit PKW, wie in London
  • (zeitweise) Sperrung von Innenstädten für Autos, wie der autofreie Tag bzw. die autofreie Woche in Bogotá, Kolumbien
  • Steuern auf Kraftstoffe und Fahrzeuge, z.B. CO2-Steuer
  • Begrenzung der Anzahl an Neufahrzeugzulassungen, wie in Peking, China
  • Ausbau der Radwegsinfrastruktur, wie in Utrecht, Niederlande
  • Anreize zur Nutzung des ÖPNV, z.B. ermäßigte Tarife, inkludierte Fahrkarten in Tickets für Konzerte
  • Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h in Stadtgebieten, wie in Leipzig geplant
  • Informations- und Imagekampagnen zur Erhöhung der Bekanntheit der öffentlichen Verkehrsmittel und der abgedeckten Strecken, z.B. die erfolgreiche „Weil wir dich lieben“-Kampagne der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)
  • (autonome) Kleinbusse oder Anrufsammeltaxis als Zubringerverkehr für den ländlichen Raum, z.B. im Raum Hannover
  • uvm. …

Diese Liste ließe sich noch lange fortführen. Den Maßnahmen ist oft gemein, dass sie einen hohen Aufwand für die Umsetzung benötigen und sich die Wirkung erst mittel- bis langfristig einstellt. 

Zudem ist es gerade bei ökonomischen und regulatorischen Maßnahmen nicht immer einfach, diese sozial gerecht und gleichzeitig wirksam zu gestalten. Eine durchweg gleich hohe City-Maut zum Beispiel hält einfach ausgedrückt womöglich eher den Kleinwagen eines alleinerziehenden Elternteils aus der Innenstadt fern als die Dienstwagen-SUVs von Manager:innen und ist somit alles andere als fair. Hier können Ermäßigungen im z.B. ÖPNV für benachteiligte Gruppen soziale Gerechtigkeit schaffen.

Schritt 3: Verbessern aktueller Verkehrsmittel und Technologie (Improve)

An dritter Stelle stehen die verbessernden Maßnahmen. Diese zielen auf eine Verbesserung der Effizienz vorhandener und zukünftiger Verkehrsmittel ab. Effizienz meint hierbei vor allem Energieeffizienz, aber auch die betriebliche Effizienz, beispielsweise im ÖPNV, spielt hier eine Rolle. Dementsprechend umfasst die Verbesserung neben Maßnahmen zum Einsatz erneuerbarer Energieträger auch solche zur Steigerung der Auslastung im ÖPNV und anderen Mobilitätsformen.

Verbessernde Maßnahmen sind u.a.:

  • Elektrifizierung des Antriebsstrangs vorhandener und zukünftiger Fahrzeuge
  • Verbesserung der Fahreigenschaften im Hinblick auf den Kraftstoff-/Stromverbrauch
  • Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien am Strommix
  • Entwicklung effizienter Speichertechnologien z.B. für Windenergie
  • Entwicklung von leistungsstarker Akku-Technologie mit hoher Energiedichte
  • Steigerung der Attraktivität des ÖPNV
  • Dekarbonisierung von Kraftstoffen z.B. durch sogenannte E-Fuels
  • Steigerung der Attraktivität der E-Mobilität durch Förderprogramme
  • Steigerung der Attraktivität von Ridesharing, z.B. durch Mitfahrbänke
  • effizienter, bedarfsorientierter Fahrzeugeinsatz auf ÖPNV-Strecken mit schwankender Nachfrage
  • Einsatz von elektrischen Kleinstautomobilen wie dem Microlino
  • uvm. …

Was sind Leichtfahrzeuge eigentlich? Das und mehr kannst Du in meinem Post „Was sind Leichtfahrzeuge?“ lesen.

Microlino
Der Microlino – ein leichtes und kleines Fahrzeug für den Stadtverkehr © Microlino AG

Wieso verbessernde Maßnahmen dennoch oft vorangestellt werden

Verbessernde Maßnahmen stellen oft sogenannte low hanging fruits dar, also einfach zu erreichende Ziele, da sie oft kurzfristig, messbar und öffentlichkeitswirksam wirken. So nutzen z.B. Autohersteller Plug-in-Hybride, um die durchschnittlichen Emissionswerte ihrer Flotten zu senken und EU-Grenzwerte zu erfüllen – und locken nebenbei Kunden mit Traumwerten bei den Verbräuchen, die selten erreicht werden. Auch das Vorantreiben der Elektromobilität und die Diskussion um E-Fuels zeigen, dass Politiker:innen gerne verbessernde Maßnahmen in den Vordergrund stellen – obwohl diese eigentlich nach den vermeidenden und verlagernden Maßnahmen die niedrigste Priorität haben sollten.

Nichtsdestotrotz sind natürlich auch sie wirksam, vor allem für das Einsparen von Emissionen. Vor allem der Einsatz erneuerbarer Energien und die Elektrifizierung sind unabdingbar, um die Emissionen im Transportsektor zu senken. Sie stellen somit in gewisser Weise das Rückgrat dar und sollten als solches die vermeidenden und verlagernden Maßnahmen noch mehr komplementieren, als alleine zu stehen. Eine Elektrifizierung aller Fahrzeuge senkt beispielsweise die lokalen Emissionen enorm, löst jedoch weder Stau- noch Parkraumproblematiken und steigert somit nur die Lebensqualität in Hinblick auf die Gesundheit.

Verbesserung durch den Einsatz von Leichtfahrzeugen

Hier kommen wieder die Leichtfahrzeuge ins Spiel. Sie können eine umweltfreundliche Alternative für all diejenigen sein, die auch nach den Schritten Vermeiden und Verlagern noch auf ein Auto angewiesen sind oder sein wollen. Wer zwar gerne Fahrrad fährt, sich aber die komplette Regenmontur oder das Umziehen am Zielort sparen will, kann bestimmte Wege bei ungünstigen Bedingungen auch mit einem Leichtmobil zurücklegen. Ebenso können die Miniautos in Gegenden mit schwacher ÖPNV Infrastruktur als Alternative dienen. Zuletzt können elektrische Leichtfahrzeuge zahlreiche Dienstwagen und andere gewerbliche Fahrzeuge ersetzen. Kaum ein Pflegedienst, Hebamme oder Handwerker wird seine täglichen Besuche mit dem Bus erledigen wollen – ein kleines, leichtes und kosteneffizientes Fahrzeug ist hier eine ideale Lösung.

Durch ihre kompakten Maße beanspruchen Leichtmobile zusätzlich weniger Raum, zum Beispiel beim Parken. Dies vereinfacht die Parkplatzsuche und verringert den Parksuchverkehr, der aktuell immerhin bis zu 40 % des innerstädtischen Verkehrs ausmacht und dementsprechend einen beträchtlichen Anteil der verkehrsbedingten Emissionen verursacht.

Insgesamt können Leichtfahrzeuge ein wichtiger Pfeiler der Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität als Teil des „Verbessern“-Schrittes sein. Anstatt große PKW mit Verbrenner durch große PKW mit Elektromotor zu ersetzen, in denen im Schnitt immer noch die Rückbank leer bleibt, können so bedarfsgerechtere Fahrzeuge auf den meisten Wegen eingesetzt werden. 

Fazit: Es gibt keine One-Size-Fits-All-Lösung für die Mobilitätswende

Eine einfache und universale Lösung ist auch das A-S-I-Framework natürlich nicht. Bevor Maßnahmen beschlossen werden, sollte immer eine langfristige Vision für die Stadt entwickelt werden. Basierend auf den konkreten Zielen können dann im Rückwärtsverfahren (Backcasting) geeignete Maßnahmen ausgewählt werden. 

Neben der langfristigen Vision müssen auch die individuellen Voraussetzungen in der Stadt betrachtet werden. Während eine auf die Steigerung des Radverkehrs fokussierte Strategie in vielen europäischen, eher flachen Städten durchaus Sinn macht, ist diese in bergigen Regionen oder in tropischen Klimazonen eher schwierig durchzusetzen. Gleichweise ist der Bau eines teuren, autonomen Light Rail Transportsystem in vielen Städten des globalen Südens ökonomisch nicht sinnvoll, da die für den wirtschaftlichen Betrieb anzusetzenden Ticketpreise zu hoch wären und die Auslastung gering wäre. 

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Auswahl geeigneter Maßnahmen für die Reduzierung der negativen Umweltauswirkungen ist die soziale Gerechtigkeit. Diese spielt auch im Transportwesen eine große Rolle.

AUF EINEN BLICK

  • Die drei V’s der Verkehrswende bezeichnen die drei Schritte des Avoid-Shift-Improve Models: Vermeidung, Verlagerung, Verbesserung.
  • Vermeidung von Verkehr bezeichnet Maßnahmen, die insgesamt weniger oder kürzere Wege (vor allem im motorisierten Individualverkehr) zurückgelegt werden müssen. Maßnahmen sind z.B.: dichtere Besiedlung, mehr Infrastruktur, 15-min-Stadt
  • Verlagerung von Verkehr bezeichnet Maßnahmen, die zu einer Verlagerung des Verkehrs (Modal Shift) zum Umweltverbund aus Fußverkehr, Radverkehr, ÖPNV führen. Beispielmaßnahmen sind z.B. City-Maut, PKW-Fahrverbote in der Innenstadt, Mitfahrangebote, Förderung günstiger ÖPNV-Tickets uvm.
  • Verbesserung von Verkehr bzw. aktueller Verkehrsangebote und deren Technologien bezeichnet Maßnahmen, die beispielsweise durch technologische Neuerungen aktuelle Verkehrsangebote emissionsärmer gestalten. Dazu zählen z.B. die Elektrifizierung von Fahrzeugen oder der Einsatz kleinerer Leichtfahrzeuge.
  • Die verbessernden Maßnahmen werden aufgrund ihrer schnellen Wirksamkeit und relativ einfachen Durchsetzung derzeit politisch priorisiert.
  • Leichtfahrzeuge können eine effektive verbessernde Maßnahme sein, da sie energie- und platzeffizienter als herkömmliche PKW sind. Sie können PKW-Fahrten ersetzen und den Parksuchverkehr verringern.
  • Insgesamt gibt es keine einzelne Lösung für die Verkehrswende, sondern es bedarf einer ausgewogenen Mischung verschiedener Maßnahmen der drei Handlungsfelder.

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Titelbild © Agung Pandit Wiguna – pexels.com

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